Hallo, ich heiße Cellina & bin Biochemikerin. Ich arbeite zur Zeit an meiner Doktorarbeit auf dem Gebiet der medizinischen Grundlagenforschung/Gentechnik. Da es für Laien oft sehr schwer oder sogar unmöglich ist, wissenschaftliche Fachliteratur zu finden, zu lesen und die Qualität der Arbeiten zu beurteilen, möchte ich Euch eine kurze, aber wissenschaftlich fundierte Zusammenstellung über Silikon & die damit verbundenen Risken geben. Solltet ihr im Anschluß daran noch Fragen haben, könnt ihr Euch gerne an mich wenden – ich werde mich bemühen, Euren Wissendurst zu stillen! Ihr erreicht mich unter: cellina@gmx.at oder über das silicone-sisters Forum.
Was ist Silikon?
Chemisch gesehen ist Silikon ist ein sog. Polydimethylsiloxan d.h. es besteht wie Glas oder Sand aus den Elementen Silizium und Sauerstoff, hat aber zusätzlich noch sog. Methylgruppen (Kohlenstoff + Wasserstoff). "Poly" bedeutet, das viele dieser Einzelbausteine zu einen riesigen Molekül zusammengesetzt sind. Silikone gibt es in der Natur nicht, sie werden seit den späten 50ern industriell hergestellt und sind heute in sehr hoher Reinheit erhältlich.
Je nachdem wie stark diese großen Moleküle untereinander verbunden sind, man nennt das Vernetzung, liegt ein Silikonöl (geringste Vernetzung), ein Gel oder auch ein sog. Elastomer (fest aber dehnbar, höchste Vernetzung, z.B. Implantathülle) vor. Durch die Steuerung der Vernetzungsart und des Vernetzungsgrades kann man auch erreichen, daß das Silikonpolymer nicht auseinanderfließt wie ein Öl, sondern von sich aus zusammenhält und trotzdem nicht fest ist – das nennt man dann kohäsiv.
Silikone sind hochgradig "inert", d.h. sie zeigen auch mit aggressiven Chemikalien und unter extremen Bedingungen (Hitze, Feuchtigkeit, Druck, ...) so gut wie keine Bereitschaft zu chemische Reaktionen (im Chemiker-Jagon ein "toter Hund" genannt). Lediglich wenige Stoffe wie z.B. Vinylchlorid, ein sehr gefährlicher, krebserregender Stoff (der Grundbaustein von PVC), vermag Silikon rasch zu zerstören. Allerdings gilt für alle Kunststoffe, daß sie einem Alterungsprozess ausgesetzt sind, besonders durch Oxidation. Sie werden mit der Zeit porös und spröde und verlieren zusehens ihre Elastizität. Wie lange das dauert hängt einerseits vom Polymer, andererseit von den Belastungen ab, denen der Kunststoff ausgesetzt ist.
Für Implantatfüllungen wird noch sog. amorphes Silica, das ist ganz feiner Quarzsand hinzugefügt, um die Stabilität zu erhöhen. Dieses amorphe Silica ist, im Gegensatz zum kristallinen Silica für den Organismus unbedenklich & es kann auch im Körper nicht zu einer Umwandlung der amorphen in die kristalline Form kommen.
Wofür werden Silikone verwendet?
Da sich Silikone sehr neutral verhalten und keine negativen Reaktionen bei lebenden Organismen hervorrufen (man spricht von hoher Biokompatibilität) sind sie ein fixer Bestandteil unseres modernen Lebens geworden. Angefangen von Fugenmassen, wasserfesten Beschichtungen (z.B. Regenschirm), Dicht- und Schmiermitteln, über Kosmetika (feuchtigkeitsspendende Cremes, Haarpflegeprodukte, Make-up,... enthalten fast immer sog. Dimethikon, eine bestimmte Art von Silikon) und Lebensmitteln (Instantpulver, Backmischungen zur Verminderung von Schaumbildung, Frühstücksflocken zur Haltbarmachung, ...) bis hin zu medizinischen Produkten (Kontaktlinsen, Gelenksersatz, Beschichtung von Herzschrittmachern und Herzklappen, Beschichtung von Injektionsnadeln, Spritzen und Behältern, Katheter, Drainagen, Bindemittel in Tabletten etc.). Silikon (z.B. als Dimethikon) ist als Lebensmittel- und Medikamentenhilfsstoff weltweit zugelassen. Dies sind nur einige Beispiele.
Daher ist es auch nicht verwunderlich, daß in industrialisierten Ländern so gut wie alle Menschen, egal ob Frauen oder Männer, Implantatträgerinnen oder Naturbusenbesitzerin, teilweise sogar beachtliche Mengen an Silikon besonders in der Leber "mit sich herumtragen". Es gibt aber noch keine international anerkannte Standardmethode um Silikon in Organen etc. zu bestimmen.
Welche Vorwürfe werden gegen Silikon erhoben & was sagt die Wissenschaft dazu?
Immer wieder werden Vermutungen laut, daß Silikon im Körper diverse Krankheiten auslösen oder sogar verursachen kann, z.B. Krebs, Bindegewebserkrankungen oder diverse Autoimmunerkrankungen wie Lupus, Skeroderma oder rheumatische Erkrankungen. Bislang haben weltweit ca. 1-2 Millionen Frauen Silikonimplantate eingesetzt bekommen. Oft meinen Betroffene, daß bei ihnen nach einer Brustvergrößerung oder –rekonstrukion aufgetretenen Krankheiten durch Silikon verursacht seien. In zahlreichen biochemischen (im Labor) und klinischen (an Hand von statistischem Material von Patienten und Kontrollgruppen) Studien wurde diesen Vorwürfen bisher nachgegangen.
Die Wissenschaft stellt sich selbst den Anspruch, daß eine Behauptung eindeutig belegt werden muß, um als wahr zu gelten. Bei klinischen Studien ist der Anspruch insofern geringer, als daß zwei oder mehrere Ereignisse signifikant gehäuft parallel auftreten müssen. Dies heißt aber noch nicht, daß auch wirklich eine Zusammenhang besteht. So konnte eindeutig gezeigt werden, daß sich in der 80er Jahren die Anzahl der Ströche am österreichischen Neusiedlersee und die Geburtenrate in einem nachgelegenen Krankenhaus proportional entwickelten. Ist dies der Beweis, daß die Störche die Babys bringen? Ungekehrt kann aber ein Zusammenhang ausgeschlossen werden, wenn die Gruppen groß genug & wissenschaftlich einwandfrei gewählt wurden und keine Korrelation aufgetreten ist.
Ich möchte nun die einzelnen Vorwürfe, die gegen Silikonimplantate erhoben wurden, nacheinander behandeln:
1. Silikonimplantate und Brustkrebs
Zahlreiche von unabhängigen Stellen durchgeführte klinische Studien kommen zu dem Schluß, daß das Risiko an Brustkrebs zu erkranken für Frauen mit und ohne Brustimplantate gleich hoch ist. Dabei ist es besonders wichtig, daß die Beobachtungszeiträume lang genug sind (mind. 10 Jahre) um eine Erhöhung der Krebsrate auch wirklich zu erkennen, da die Manifestation viele Jahre oder Jahrzehnte dauern kann. Außerdem muß die Gruppe groß genug sein, um eine gesicherte statistische Aussage treffen zu können. Wichtig ist auch die gewählte statistische Methode – eine Wissenschaft für sich. In den USA bekommt ca. jede achte Frau Brustkrebs, d.h. die Brustkrebsrate liegt bei 12-13%! Hier einige ausgewählte Studien, die die oben genannten Kriterien erfüllen. Ich habe die Literaturzitate hinzugefügt, damit Interessierte auch die Originalliteratur durcharbeiten können:
Deapan, Brody (University of California): Plastic and Reconstructive Surgery 1992, 326:1649-1653
1987 durchgeführte Untersuchungen an 3 000 Frauen aus dem Bezirk Los Angeles, USA, die Silikonimplantate zwischen 1959 und 1980 erhalten haben, zeigten kein erhöhtes Krebsrisiko. Eine Nachfolgeuntersuchung 1992 zeigte das gleiche Ergebnis.
Edworthy, Martin et al. (University of Calgary, Canada): New England Journal of Medicine 1998, 101:261-268
11 000 Frauen aus Alberta, Kanada, die zwischen 1973 und 1986 Silikonimplantate erhalten hatten, zeigten kein erhöhtes Krebsrisiko.
Brinton, Malone et al. Plastic and Reconstructive Surgery 1996, 97:269-275
Studie an 2 000 Frauen in New Jersey und Washington, USA: kein Zusammenhang zwischen Silikonimpl. & Brustkrebs.
Folgende Informationen habe ich von einem befreundeten Radiologen: Es ist zu beachten, daß Implantate sowohl über als auch unter den Brustmuskel die regelmäßig durchzuführende Mammographie verfälschen können. Diesem Umstand kann aber durch adequate Aufnahmetechniken, die sog. Eklund Technik, abgeholfen werden. Implantatträgerinnen sollten den Radiologen vor der Untersuchung unbedingt informieren! Nicht alle Radiologen haben die technischen Voraussetzungen diese Technik anzuwenden. Magnetresonanzaufnahmen (MR) können noch genauere Daten liefern und es entfällt zusätzlich die Gefahr der Implantatssprengung durch zu hohen Druck. Allerdings haben beide Methoden, sowohl Mammographie als auch MR Vorteile & Nachteile bei der Befundung und sind nicht für alle Fragestellungen gleich gut geeignet.
2. Silikonimplantate und Autoimmunerkrankungen
Dringen fremde Proteine z.B. von Bakterien oder Viren in unseren Körper ein (= Antigene) dann reagiert der Körper mit einer Immunantwort. Es kommt zu Bildung von Antikörpern, die genau zum jeweiligen Antigen passen (Schlüssel-Schloß-Prinzip) & es festhalten. Diese Immunreaktion kann aber auch über das Ziel hinausschießen z.B. bei Allergien oder Autoimmunerkrankungen. Während bei Allergien eine überstarke Immunantwort auf alltägliche Stimuli auftritt, bildet der Körper bei Autoimmunerkrankungen Antikörper gegen eigene Organe oder Gewebe und zerstört diese. Lupus, Skeroderma, Hashimoto-Thyreoiditis oder rheumatische Erkrankungen sind Beispiele dafür.
Es sind in den letzten Jahren einige Studien aufgetreten, die behaupten einen Zusammenhang zwischen Silikon und Autoimmunerkrankungen festgestellt zu haben. Tenenbaum et al. (Lancet 1997, 349:449-454) behaupteten sogar, daß bei Implantatträgerinnen häufiger Antikörper gegen einen anderes Polymer, Polyacrylamid, gefunden worden wären. Wie bereits gesagt, unterliegt die Antigen/Antikörperbildung aber dem Schlüssel-Schloss-Prinzip und es gibt keinen strukturellen Ähnlichkeiten zwischen Silikon und Polyacryamid die eine Kreuzreaktion begründen würden. Die Independet Review Group UK hat die Studie als voll von wissenschaftlichen Mängeln zurückgewiesen. Weiters wurde festgehalten, daß keine Reaktion von T-Zellen, die bei der Immunreaktion eine Schlüsselposition einnehmen, auf Silikon festgestellt werden konnte.
Es konnten bisher noch nie Antikörper gegen Silikon nachgewiesen werden. Allerdings besteht natürlich immer die (zumindest theoretische) Möglichkeit einer Allergie gegen einen körperfremden Stoff. Silikon gilt aber als hypoallergen, d.h. Allergien sind so gut wie unbekannt. So gibt es für sehr allergieempfindliche Personen z.B. Kondome aus Silkon!
3. Silikonimplantate und Bindegewebserkrankungen
Bindegewebserkrankungen beinhalten eine große Zahl an krankhaften Erscheinungen im Zusammenhang mit verschiedenen Bindegeweben (Fett, Knochen, Schleimhaut) und sind meist Autoimmunerkrankungen. Zahlreiche kliniksche Studien sind speziell einem möglichen Zusammenhang zwischen Bindegewebserkrankungen und Silikonimplantaten nachgegangen. Hier eine kleine Auswahl.
Gabriel, O'Fallon et al. (Mayo Clinic, USA) : New England Journal of Medicine 1994, 330(24):1697-1702
Der Vergleich von 749 Frauen die zwischen 1964 und 1991 Silikonbrustimplantate erhalten hatten mit 1 498 Frauen ohne Implantate zeigte weder einen Zusammenhang zwischen Silikonimplantaten & Bindegewebserkrankungen, noch zu anderen Erkrankungen, die in der Studie behandelt wurden.
Sanchez-Guerrero et al. (Harvard Medical School, USA) : New England Journal of Medicine 1995, 332(25):1666-1670
1995 wurden in einer Studie an Harvard/Brigham's Hospital die 14 Jahre umfassenden Krankengeschichten von Krankenschwestern (Nurse Health Study Cohort) auf einen Zusammenhang zwischen Silikonimplantaten & Bindegewebserkrankungen untersucht. Insgesamt wurden mehr als 87 000 (!) Frauen mit und ohne Implantate einbezogen. Es konnte kein Zusammenhang gefunden werden.
Es ist nun aber so, daß für Autoimmunkrankheiten und zahlreiche andere schwere Krankheiten, so nicht erbliche Zusammenhänge auftreten, oft keine medizinsche Ursache gefunden werden kann. Daher ist es nur menschlich, daß man als Betroffener schnell selbst zur Ursachenforschung übergeht. Es ist eben schwer zu akzeptieren, daß auch die moderne Medizin nicht auf alles eine Antwort parat hat. Wenn in den Medien tragische Schicksale von Silikonimplantatsträgerinnen gezeigt werden, bestreitet niemand, daß sie wirklich an der jeweiligen Krankheit leiden, doch allein die Tatsache, daß sie Silikon im Körper tragen, ist nicht Beweis genug um zu behaupten, daß die Krankheit mit den Brustimplantaten in Zusammenhang steht.